âMein Traum ist, dass die Menschen aufwachenâ
Dr. Einhard Weber (Jahrgang 1940)
Ich halte TrĂ€ume, die zu Visionen werden, fĂŒr etwas ganz Wichtiges. Den TrĂ€umen folgen Taten, und dabei können den VisionĂ€r andere unterstĂŒtzen, gerade auch Vordenker wie Albert Schweitzer mit seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Der Traum, den ich mit Schweitzer trĂ€ume, ist der, dass die Menschen endlich aufwachen, dass sie bescheidener werden in ihrem Lebensstil und sich bewusst machen, was zur Zeit mit der Welt geschieht, und sich dann aktiv einbringen. Das kann man geistig tun, das kann man praktisch tun, etwa auch, indem man z. B. an Demonstrationen fĂŒr das Klima teilnimmt.

Ehrfurcht vor dem Leben
Es könnte auch die Bibliothek eines Albert-Schweitzer-Museums sein, das Arbeitszimmer von Dr. Einhard Weber in CreuĂen: Was auch immer man an Literatur ĂŒber den groĂen Theologen, Arzt und Menschenfreund Schweitzer sucht, hier wird man fĂŒndig. Kein Wunder: Einhard Weber, Arzt im Ruhestand, ist Vorsitzender des âDeutschen Hilfsvereins fĂŒr das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene e. V.â (DHV). Das Gedankengut des FriedensnobelpreistrĂ€gers weiterzugeben und weiterzudenken, prĂ€gt seinen Ruhestand: âEs gibt gerade in unserer Zeit nichts Wichtigeres als Schweitzers Idee der âEhrfurcht vor dem Lebenâ.â

Kultur, die Kunst, die Musik, die Literatur
Einhard Weber wird 1940 in Neuruppin in Brandenburg geboren, die Liebe zu PreuĂen ist ihm in die Wiege gelegt: âIch bin ĂŒberzeugt von PreuĂen, weil es insgesamt doch eine sehr humane und sehr fortschrittliche Gesellschaft war. Es gab dort keinen Manchester-Kapitalismus, sondern meines Erachtens nach immer eine behutsame soziale VerĂ€nderung.â Die preuĂische Kultur, die Kunst, die Musik, die Literatur â das alles habe ihn schon frĂŒh geprĂ€gt. Besonders auch das Werk Theodor Fontanes, auch er ein Sohn Neuruppins.
In den Kriegsjahren
Die ersten Lebensjahre verbringt Einhard Weber im oberschlesischen Kattowitz. Als im Januar 1945 die Rote Armee vorrĂŒckt, sucht die Familie Schutz in Neuruppin: âWir sind am 17. Januar 1945 mit einem der letzten ZĂŒge Richtung Westen geflohen, da war meine Schwester gerade 17 Tage auf der Welt.â Einhard Weber ist damals fĂŒnf Jahre alt, er erinnert sich an die letzten Monate des Krieges, an die Fliegerangriffe auf Neuruppin, an die Stunden, die er im Keller gesessen hat. âEinmal war ich mit meiner GroĂmutter im Garten, da kamen englische Tiefflieger runter und haben auf uns geschossen. All diesen Schwachsinn des Krieges habe ich mitgekriegt, Gott sei Dank ohne ein Trauma, fĂŒr mich als Bub war das höheres Indianerspiel.â Aus Angst vor den sowjetischen StreitkrĂ€ften flieht die Familie ein zweites Mal, diesmal nach Schleswig-Holstein, in den Kreis Herzogtum Lauenburg. Dort wird Einhard Weber eingeschult, er erinnert sich dankbar an die Grundschulzeit: âDas waren noch diese alten Lehrer, die auch noch Geige spielen konnten, bei denen morgens gesungen wurde.â Als OberschĂŒler besucht Einhard Weber ein Gymnasium in LĂŒbeck. Die Hansestadt war durch den Krieg zerstört, vor allem die Altstadt: âIch bin mit einer BlechbĂŒchse herumgelaufen, auf der stand: Sieben Tage sieben TĂŒrme. Damit haben wir fĂŒr den Wiederaufbau der KirchtĂŒrme gesammelt.â Dass hier wie andernorts innerhalb weniger Jahre der Aufbau gelingt, findet er bis heute âunglaublichâ.
Studienjahre
Nach dem Abitur der MilitĂ€rdienst und dann die Frage: Was tun? Seine Mutter war Ărztin auf dem Land, Einhard Weber hatte die anstrengenden Seiten des Arztberufs mitbekommen: die Hausbesuche, die Fahrten ĂŒbers Land und die permanente PrĂ€senz. Andererseits hatte der Beruf die Mutter erfĂŒllt, denn da waren die Dankbarkeit der Patienten, das offene, herzliche Haus und nicht zuletzt das GefĂŒhl des Helfenkönnens.
âDas hat auch einen Freund beeindruckt, der bei uns zu Besuch war und dann zu mir gesagt hat: Warum nicht auch Du?â So kommt es, dass Einhard Weber sich fĂŒr das Medizinstudium entscheidet. Er studiert in Freiburg, TĂŒbingen und in Wien, lernt im Studium seine Frau, ebenfalls Medizinerin, kennen. Auch in den Studienjahren nimmt er sich Zeit fĂŒr Kultur, fĂŒr Opernbesuche, fĂŒr TheaterauffĂŒhrungen, fĂŒr Literatur: âMedizin, das war mein Beruf, aber das war eben nicht alles.â Mit 29 Jahren besucht Einhard Weber erstmals die Festspiele in Bayreuth; sein Interesse fĂŒr Richard Wagner wird sich mit den Jahren weiter vertiefen, auch weil dessen Weltanschauung mit der Schweitzers fĂŒr ihn in wesentlichen Teilen ĂŒbereinstimmt.
Berufsleben
Dass er der Wagnerstadt Bayreuth dann als junger Arzt rĂ€umlich nĂ€her rĂŒcken sollte, verdankt er einem Zufall: Weber hatte sich nach dem Medizinstudium in verschiedenen medizinischen Fachbereichen weitergebildet, er hĂ€tte auch den Berufsweg eines Chirurgen oder eines AnĂ€sthesisten einschlagen können. Es war wohl dem Vorbild der Mutter geschuldet, dass er immer den Hausarzt im Hinterkopf behielt, verbunden mit der Vorstellung, hier am ehesten âden ganzen Menschen vor sich zu haben, sich ganz um ihn kĂŒmmern zu könnenâ. Ăber einen Kollegen erfĂ€hrt er von einer freien Praxis in CreuĂen. Erst schreckt ihn die Anschrift ab: BahnhofstraĂe. Dann, vor Ort, beim Anblick der Idylle, das sichere GefĂŒhl: Hier will er bleiben. Mit seiner Frau und den vier Töchtern verbringt er von da an sein Berufsleben in Oberfranken, er genieĂt die NĂ€he zu den Patienten, die auch im Ruhestand geblieben ist: âMancher Besuch beim Edeka ist eine kleine Sprechstunde.â
Engagement fĂŒr die Menschen
Dass Einhard Weber im Ruhestand ist, betrifft nur seine medizinische TĂ€tigkeit. Sein Engagement fĂŒr die Menschen geht ungebrochen weiter â vor allem möchte er das Gedankengut Albert Schweitzers wachhalten. Einhard Weber und Albert Schweitzer, das ist eine lange Geschichte: Freilich, dem Namen nach gekannt hat er ihn bereits als Jugendlicher, eingehender befasst hat sich Weber mit dem groĂen Menschenfreund aber erst Jahre spĂ€ter â und ist zunehmend fasziniert: âSchweitzer ist fĂŒr mich einer der groĂen Propheten der Welt. So, wie auch Meister Eckhart oder Franz von Assisi. Sie sind SchĂ€tze fĂŒr uns.â Die Ethik der âEhrfurcht vor dem Lebenâ Schweitzers bringt fĂŒr Weber auf den Punkt, worauf es im Umgang miteinander und mit der Mitwelt ankommt, dieser Leitsatz Schweitzers: âIch bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.â Jeder von uns ist mitverantwortlich fĂŒr diese einmalige Erde.
Kaum ist Einhard Weber tiefer in die Gedankenwelt Schweitzers eingestiegen, geschieht, was so oft in seinem Leben der Fall ist: Er engagiert sich mit vollem Herzen, nimmt an Diskussionen teil, âmacht den Mund aufâ, wie er schmunzelnd kommentiert â und wird auf diese Weise, kaum RuhestĂ€ndler, erster Vorsitzender des DHV in Frankfurt. Weber fliegt nach Lambarene in Gabun, dorthin, wo Schweitzer mit seiner Frau Helene das berĂŒhmte Urwaldkrankenhaus aufbaute, organisiert VortrĂ€ge, um das Gedankengut Schweitzers weiterzutragen, gerade auch bei der jungen Generation. Er mag es besonders, wenn Kinder unvoreingenommen Fragen stellen, wenn er merkt, dass sie sich berĂŒhren lassen von dem, was Schweitzer vorlebte, das gibt ihm das GefĂŒhl, wirklich etwas bewirken zu können.
WertschÀtzenden Umgang mit Tier und Natur
Nicht immer ist das so, es treibt ihn und den Vorstand des DHV um: Wie kann das Interesse fĂŒr Albert Schweitzer und sein Ethos geweckt werden, wie können die Menschen sensibilisiert werden fĂŒr einen anderen, wertschĂ€tzenden Umgang mit Tier und Natur? Gerade jetzt, wo der Klimawandel immer offensichtlicher seine Folgen zeigt? Die Zeit drĂ€ngt. Ohne eine GesinnungsĂ€nderung eines relevanten Teils der Menschheit, so Weber, werde diese Erde nicht ĂŒberleben. âDieser Schwachsinn des Wachstums: Die Wirtschaft muss wachsen â warum eigentlich? Warum kann sie nicht bleiben, wie sie ist, oder sogar weniger werden?â Zwei Wege gebe es wohl, dass sich die Gesinnung der Menschen Ă€ndere: âDer eine Weg folgt Albert Schweitzer: Er hat gesagt, dass eine GesinnungsĂ€nderung in der Gesellschaft nur ĂŒber den Einzelnen geht. Er hat das verglichen mit Grashalmen: Da ist ein Grashalm, und da noch einer, und wenn es viele Grashalme sind, dann wird es eine Wiese. Jeder einzelne von uns kann ein Grashalm sein â Sie, ich, alle, die wir uns bemĂŒhen darum, dass die Menschen endlich aufwachen.â Der andere Weg, das sei leider so, gehe ĂŒber eine Katastrophe â aber wenn die Katastrophe der Klimawandel ist, dann ist es danach zu spĂ€t. Das Ende ist dann nicht mehr aufzuhalten.
âEure Alten sollen TrĂ€ume habenâ
Ist dieser Bibelvers, sind TrĂ€ume ĂŒberhaupt angesichts solcher Szenarien angemessen? Ja, sagt Einhard Weber: âIch halte TrĂ€ume, die zu Visionen und dann zu Taten werden, fĂŒr etwas ganz Wichtiges. Wenn Sie die Bibel lesen, da ist es oft so: Da steht am Anfang ein Traum, aus dem jemand etwas macht.â Dabei können den VisionĂ€r andere unterstĂŒtzen, gerade auch Vor-Denker wie Schweitzer. Wenn Einhard Weber seinen Traum, seine Hoffnung fĂŒr diese Welt in Worte fassen soll, dann nur zusammen mit diesem groĂen Denker: âDer Traum, den ich mit Albert Schweitzer trĂ€ume, ist der, dass die Menschen aufwachen, dass sie bescheidener werden in ihrem Lebensstil und sich bewusst machen, was zur Zeit mit der Welt geschieht, und sich dann aktiv einbringen. Das kann man geistig tun, das kann man praktisch tun, etwa auch, indem man an bestimmten Demonstrationen teilnimmt. Wenn ich jĂŒnger wĂ€re und noch klettern könnte, dann hĂ€tte ich auch im Hambacher Forst auf einem Baum gesessen. Wegen ein bisschen Braunkohle den letzten Forst dieser Gegend abzuhauen â das ist krank.â
Lebensgeschichten
Dr. Klaus Bayerlein
âDass alte Menschen gedanklich beweglich bleibenâ
Sigrid Böhmer
âMein Traum: Weiter musizieren zu dĂŒrfenâ
Ursula Frenzel
âIch habe eigentlich nie von einem anderen Leben getrĂ€umtâ
Wolfgang Fuchs
âDamit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werdenâ
Meta und Robert Hartmann
âDass alte Menschen weiter wahrgenommen werdenâ
Rosi Heller
âIch trĂ€ume von einer freundlicheren Weltâ
Helmut Hofmann
âTrĂ€ume verĂ€ndern sich, sie werden mit uns Ă€lterâ
Rudi Hofmann
âMein Traum? Frieden. Es gibt kein besseres Wort.â
Schwester Gisela
âDass Menschen mehr versuchen, sie selber zu sein.â
Theo Knopf
âManchmal werden Utopien auch wahrâ
Dr. Einhard Weber
âMein Traum ist, dass die Menschen aufwachenâ
Karin Weiss