„TrĂ€ume verĂ€ndern sich, sie werden mit uns Ă€lter“

Helmut Hofmann (Jahrgang 1941)

Eure Alten sollen TrĂ€ume haben? Da habe ich zunĂ€chst ein GefĂŒhl, wie auf Weihnachten zuzugehen: dass uns, den Alten, ein Aufschließen der Zukunft ĂŒber einen Traum geschenkt wird. Meine eigenen TrĂ€ume gehen zunehmend weg von meiner Person und hĂ€ngen sich an andere Personen, die mit meinem Leben verknĂŒpft sind – werden sie etwas ĂŒbernehmen von dem, was mir wichtig ist? Was die Zukunft der Welt angeht, da gibt es TrĂ€ume, die liegen zwar nicht im Sofort-Erwartbaren, aber auf die kann man hinarbeiten. In den bildgewaltigen Visionen der biblischen Propheten sehe ich das große Vertrauen auf eine kommende Welt, das ich durchhalten möchte – ich weiß zwar nicht, was ich da einmal bekomme, aber ich weiß, dass ich etwas bekomme.

FamiliÀre Wurzeln

Im Ruhestand ist Helmut Hofmann nach Bayreuth zurĂŒckgekehrt, in die Stadt, in die familiĂ€re Wurzeln reichen und in der er als Vikar und als Dekan tĂ€tig war. Der ehemalige Oberkirchenrat blickt auf ein an ĂŒberraschenden Wendungen reiches Leben zurĂŒck. Das Thema TrĂ€ume birgt fĂŒr ihn die unterschiedlichsten Facetten in seiner Biographie. Ein wesentlicher Punkt ist dabei fĂŒr ihn: „TrĂ€ume verĂ€ndern sich, sie werden modifiziert durch das Leben, werden mit uns Ă€lter – aber es gibt oft einen roten Faden, der bleibt.“

Erinnerungen

Helmut Hofmann wird im Dezember 1941 in NĂŒrnberg-Eibach geboren. Sein Großvater ist Bahnhofsvorsteher in Eibach, auch sein Vater arbeitet bei der Bahn: „Damit war als Kind mein Berufswunsch klar: Eisenbahner zu werden – und dazu Imker, wie der Großvater eben.“ Seine frĂŒhesten Kindheitserinnerungen hĂ€ngen mit dem Krieg zusammen: „Ich erinnere mich daran, wie ich bei Luftalarm im Bunker bin, ich erinnere mich an das Quietschen der TĂŒr und an die Frau, die mich gehalten hat.“ Die andere Erinnerung betrifft das Kriegsende: „Die amerikanischen Truppen rĂŒcken in Eibach ein, wir stehen am Fenster und hören die mahlenden GerĂ€usche der Panzerketten und dann: Nichts wie weg vom Fenster!“

Eine BrĂŒcke ĂŒber die Zeit

Die Familie ist eng mit der Kirchengemeinde Eibach verbunden. Am Samstag nach seinem 9. Geburtstag darf Helmut Hofmann dort zum ersten Mal in die Jungscharstunde gehen. Die Teilnahme ist wegen des großen Andrangs streng reglementiert, was auch einen gewissen Reiz ausmacht: „Wenn es so schwierig ist, da hineinzukommen, dann musst du einfach hin!“ Helmut Hofmann faszinieren die Gemeinschaft, das Spielen, vor allem aber auch, dass und wie dort Geschichten erzĂ€hlt werden: „Unser Leiter war ein Theologiestudent, er hat sich in der BĂŒcherei BĂŒcher ausgeliehen und uns dann das Buch erzĂ€hlt. Ich habe erlebt, was es bedeutet: gut erzĂ€hlen zu können.“ Bald wird Helmut Hofmann vom Teilnehmer zum Mitarbeiter: „Das hat mich geprĂ€gt, dass mir dort gesagt wurde: Ich traue dir zu, dass du das machst, du kannst das.“ Helmut Hofmann lernt, Verantwortung zu ĂŒbernehmen unter rĂŒckblickend oft abenteuerlichen Bedingungen: „Wir sind als 15jĂ€hrige mit 35 Jungen, die zwischen acht und zehn Jahren alt waren, mit dem Fahrrad durch die Gegend kutschiert. SpĂ€ter haben wir zu zweit eine Freizeit im Gebirge geleitet.“ Alles geht gut, und Helmut Hofmann zieht fĂŒr sich daraus die Lehre: Auch er will anderen etwas zutrauen: „FĂŒr mich heißt TrĂ€umen auch: Mich erinnern an das, was einmal war. Ich will mich immer wieder daran erinnern, dass andere Menschen mich so ernst genommen haben, dass sie mich haben arbeiten lassen.“ Schon frĂŒh macht er sich Gedanken darĂŒber, was es heißen könnte, sich treu zu bleiben in dem, was man fĂŒr wichtig erachtet: „Ich war 15 Jahre alt und damals fast jeden Tag im Gemeindehaus. Ich musste dazu ĂŒber ein Feld laufen, und ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mir einmal auf dem Weg gesagt habe: Wenn du einmal 50 Jahre alt bist, dann erinnere dich daran, dass du damals hier gelaufen bist, um im Gemeindehaus diese Arbeit zu tun. Dass du dir gesagt hast: Das ist mir wichtig – was wird da draus werden?“ Eine BrĂŒcke schlagen ĂŒber die Zeiten – Helmut Hofmann hat das fĂŒr sich immer wieder getan.

Der rote Faden ist geblieben

Der Berufstraum des 15jĂ€hrigen: Jugendleiter werden. Der OberrealschĂŒler will daher nach der 10. Klasse die Schule verlassen, die Eltern reden ihm zu, das Abitur zu machen. So wird es das Theologiestudium, der Weg ins Gemeindepfarramt: „Der Traum hat sich also verĂ€ndert, er ist mit mir erwachsen geworden, trotzdem ist ein roter Faden geblieben.“ Der rote Faden heißt: theologisch-pĂ€dagogisch zu arbeiten. Das Vikariat verbringt Helmut Hofmann in Bayreuth: „Typisch fĂŒr die damalige Zeit: Wir wurden von der Kirchenleitung gefragt, ob wir besondere EinsatzwĂŒnsche haben. Meine damalige Antwort: Ich gehe ĂŒberall hin, aber bitte nicht nach Bayreuth, denn dort lebt ein großer Teil der vĂ€terlichen Verwandtschaft. Ergebnis: Stadtkirche Bayreuth.“ Helmut Hofmann und Studienkollegen, denen es Ă€hnlich ergeht, lĂ€sst diese Art des Umgangs mit der Institution Kirche hadern: „So eine Kirche können wir doch nicht sein, wir mĂŒssen doch anders mit den Leuten umgehen!“ Helmut Hofmann ist kein radikaler Reformer in der Landeskirche, aber innerhalb der bestehenden Strukturen etwas zu verĂ€ndern, ist ihm seit diesem Erlebnis ein Anliegen. Er zĂ€hlt Anfang der 1970er Jahre dann auch zu der Gruppe der sogenannten Ordinationsverweigerer, die sich dafĂŒr einsetzen, dass die Ordination mit Bezug zu der Gemeinde geschieht, in der man auch tĂ€tig ist.

„TrĂ€ume in allen Lebensstufen“

1968 heiratet Helmut Hofmann Renate Steinbauer, das Paar bekommt zwei Kinder, Ute und Jochen. Seine erste Pfarrstelle fĂŒhrt ihn nach Stadtbergen: „Als ich mich fĂŒr die Stelle dort beworben habe, stand in der Ausschreibung: Es entsteht in KĂŒrze ein Gemeindezentrum. Ich bin hingekommen, die Bauarbeiten waren bereits vergeben – und sechs Wochen spĂ€ter beschließt die Synode den ersten Baustopp ihrer Geschichte.“ Nichts geht mehr – aber statt zu resignieren, wird mit Eigenmitteln der Gesamtkirchenverwaltung trotzdem ein kleines Gemeindehaus errichtet, mit Hilfe vieler engagierter Gemeindeglieder. „Da werden dann TrĂ€ume auf andere Weise plötzlich wahr mit dem Ergebnis: Das erste Haus wĂ€re uns hingestellt worden, das zweite mussten wir uns mĂŒhsam erarbeiten – es wurde uns umso wertvoller, auch fĂŒr den Gemeindeaufbau.“ Es war eine dieser Erfahrungen, die Helmut Hofmann mit den Worten beschreibt: „Ja, wir haben TrĂ€ume in allen Lebensstufen, und manchmal erleben wir: Der Traum wird Wirklichkeit – aber ganz anders, als man gedacht hat. Kann ich ĂŒberhaupt sagen, dass ein Traum nicht in ErfĂŒllung geht? Oder kann ich auch sagen: Ja, toll, dass es diese Wendung bei TrĂ€umen gibt?“

Überraschende Wendungen

Helmut Hofmann erlebt sie immer wieder, gerade auch beruflich. Er wird 1978 angefragt, ob er nicht Referent im Landeskirchenamt in MĂŒnchen werden könne, zustĂ€ndig fĂŒr den Religionsunterricht. Er sagt ja, und bleibt, bis er 1986 als Dekan nach Bayreuth kommt. 1999 wird er, der zu Beginn seines Berufsleben ĂŒberzeugt gewesen ist, immer im Gemeindepfarramt zu bleiben, dann Oberkirchenrat, zuerst fĂŒr die Abteilung Schule-Bildung-Medien, spĂ€ter fĂŒr die Abteilung Gesellschaftsbezogene Dienste. Oberkirchenrat – auch das eine Position, die er sich nie ertrĂ€umt hĂ€tte, die ihn dann aber erfĂŒllt; sein roter Faden, sein Wunsch, pĂ€dagogisch-theologisch zu arbeiten, zeigt sich auch in dieser Station. „Meine persönlichen Highlights: das Bildungskonzept, publizistische Grundlinien, Diakoniegesetz und erste Handlungsanleitungen fĂŒr den Umgang mit gleichgeschlechtlich liebenden Menschen.“ Im Ruhestand zieht er zurĂŒck nach Bayreuth, widmet sich dem ökumenischen Dialog, engagiert sich in der KriegsgrĂ€berfĂŒrsorge – BrĂŒckenschlag zu seinen ersten Kindheitserinnerungen.

„Eure Alten sollen TrĂ€ume haben“

Was empfindet Helmut Hofmann bei diesen Worten? Es sind verschiedene ZugĂ€nge, die der Theologe wĂ€hlt. ZunĂ€chst bleibt er im biblischen Kontext des Verses, im Traum vom ZukĂŒnftigen. Er wĂ€hlt die emotionale Ebene: „Ein GefĂŒhl, wie auf Weihnachten zuzugehen: Dass man so etwas Schönes geschenkt bekĂ€me, dass den Alten ein Aufschließen der Zukunft ĂŒber einen Traum geschenkt wird.“ Dann sieht er auch den persönlichen Zugang zum Thema TrĂ€umen im Alter: „Ich merke, dass meine TrĂ€ume weg gehen von meiner Person, dass sie sich eher an Personen hĂ€ngen, die mit meinem Leben verknĂŒpft sind: Wie geht es mit meinen Kindern, meinen Enkeln weiter – gesundheitlich und auch im großen GebĂ€ude des Glaubens. Werden sie etwas ĂŒbernehmen von dem, was mir wichtig ist?“

Großes Vertrauen

Was hĂ€lt Helmut Hofmann von TrĂ€umen als Visionen einer anderen, einer kommenden Welt? Er differenziert: „Ich fand die Rede von Martin Luther King ‚I have a dream‘ 1963 sehr berĂŒhrend, seinen Traum von Geschwisterlichkeit, Freiheit – das ist ein Traum, der liegt zwar nicht im sofort Erwartbaren, aber man kann darauf hinarbeiten.“ Anders hingegen die Visionen der Propheten: „Ich bewundere die bildhafte Sprachgewalt, aber den Versuch, solche Visionen vom großen Frieden an unsere Gegenwart heranzuziehen, kann ich nicht mitmachen. Ich sehe in solchen Visionen aber dieses große Vertrauen, das ich auch durchhalten möchte: Dass so etwas in einer anderen Welt fĂŒr uns eine Möglichkeit ist. Ich habe mir selbst sĂ€mtliche TrĂ€ume verkniffen, die damit zusammenhĂ€ngen, mir auszumalen, was da dann alles sein könnte – schrecklich, wenn da die Leute herfabulieren! Aber festzuhalten: Ich weiß nicht, was ich da bekomme, aber ich weiß, dass ich etwas bekomme, das hat auch wieder fast etwas mit Weihnachten zu tun.“

TrÀume

Es gibt noch eine ganz andere Ebene, die Helmut Hofmann beim Thema TrĂ€ume beschĂ€ftigt, eine eher dunkle Seite. Da ist der Albtraum vieler alter Menschen, dement zu werden und pflegebedĂŒrftig. Und da ist die Erfahrung, dass es auch TrĂ€ume gibt, TagtrĂ€ume, bei denen man sich denkt: „Das darf ich doch jetzt nicht denken – aber ich denke es trotzdem.“ TrĂ€ume, die Helmut Hofmann mit Versuchungsgeschichten ĂŒbersetzt. Bei denen er sich in der Verantwortung sieht, sie „bearbeitend zu behandeln“, weil fĂŒr ihn die Konsequenzen als Christ nicht akzeptabel sind. TrĂ€ume: Das Thema ist fĂŒr Helmut Hofmann nicht einfach auf einen Punkt zu bringen, TrĂ€ume bergen viele Facetten und sind immer in Bewegung. So, wie das Leben eben.

Lebensgeschichten

Dr. Klaus Bayerlein

„Dass alte Menschen gedanklich beweglich bleiben“

Sigrid Böhmer

„Mein Traum: Weiter musizieren zu dĂŒrfen“

Ursula Frenzel

„Ich habe eigentlich nie von einem anderen Leben getrĂ€umt“

Wolfgang Fuchs

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden“

Meta und Robert Hartmann

„Dass alte Menschen weiter wahrgenommen werden“

Rosi Heller

„Ich trĂ€ume von einer freundlicheren Welt“

Rudi Hofmann

„Mein Traum? Frieden. Es gibt kein besseres Wort.“

Schwester Gisela

„Dass Menschen mehr versuchen, sie selber zu sein.“

Theo Knopf

„Manchmal werden Utopien auch wahr“

Dr. Einhard Weber

„Mein Traum ist, dass die Menschen aufwachen“

Karin Weiss

„Ich trĂ€ume mir viele starke Menschen“